martes, 9 de octubre de 2012

Und sie protestieren immer noch...?

"Vamos Compañeros,
Hay que ponerle un poco mas de empeño
Salimos a las Calles nuevamente
la educacion en chile no se Vende
SE DEFIENDE!!!" 


"Auf geht's Leute,
Wir müssen uns mal anstrengen,Wir gehen erneut auf die Straße
Die Bildung in Chile wird nicht verkauft
SIE WIRD VERTEIDIGT!"

So und noch ganz anders schreien bis zu 150.000 Schüler, Studenten, Arbeiter etc. pp., wenn die Federación de Estudiantes de Chile (FECH) zusammen mit anderen Studentenorganisationen mal wieder zum Paro Nacional ausruft und im ganzen Land an öffentlichen Schulen und Universitäten die Stifte fallengelassen werden, um wahlweise auf die Straße zu gehen oder auszuschlafen.

In diesem Eintrag werde ich versuchen, das Phänomen "Studentenproteste" in Chile etwas genauer unter die Lupe zu nehmen als die 20-Zeiler von S.P.O.N. Fangen wir also ganz von vorne an: Die weiter oben erwähnte FECH wurde 1906 von Studenten aus der damaligen herrschenden Klasse gegründet, die sich in einer überzogenen, pompösen Zeremonie geweigert hatten, Ehrenmedaillen als Dank für humanitäre Unterstützung bei einem kürzlich zuvor erfolgten Erdbeben entgegenzunehmen. Im Laufe der Zeit hat sie immer wieder kritisch zur gesellschaftlichen Lage Stellung bezogen, war unter anderem am Sturz des Dikators Carlos Ibanez del Campo 1931 nicht unwesentlich beteiligt und stellte sich von 1973-1990 der  Militärdiktatur Augusto Pinochets entgegen.

Das aktuelle Schul- und Universitätssystem wurde in den 70ern von ebendiesem Regime im Rahmen seiner neoliberalen Reformen eingeführt. Es erlaubte die Gründung von privaten Bildungsanstalten, während die Verwaltung der öffentlichen Schulen durch die Gemeinden erfolgen sollte. Kostenlose Universitätsausbildung gab es auch nicht mehr, auch an den öffentlichen Universitäten musste man also nun in die Tasche greifen. Keiner der Politiker, die sich gegen systemische Reformen stemmen, hat also jemals selbst Studiengebühren gezahlt!

Und diese sind happig. Die OECD stellt fest, dass Chile gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf das teuerste Universitätssystem der Welt hat. Ein einziges Jahr eines durchschnittlichen Studiengangs in Chile (knapp 3400 USD) zu finanzieren dauert mit dem Mindestlohn in etwa ein ganzes Jahr, ohne dass man auch nur einen Peso für irgendetwas anderes abgezwackt hat. Stipendien gibt es ebenfalls keine: Die BBC hat errechnet, dass knapp 18% der über 900.000 eingeschriebenen Studenten Geld vom Staat erhält. In den USA sind es über 50%!
Natürlich könnte man jetzt auf Kredite hinweisen, aber die Konditionen ebenjener sind so erbärmlich, dass jeder von uns sicherheitsbewussten Deutschen es wahrscheinlich bevorzugt hätte, eine Burgerbude aufzumachen...

Dazu kommt, dass man nur auf eine der richtig guten Universitäten kommt, wenn man in der Prueba de Selección Universitaria (PSU) nach zwölf Jahren Schule gut abschneidet. Dies wiederum ist faktisch nur möglich, wenn man eine Privatschule besucht hat, die wiederum locker 3000 Euro im Jahr pro Kind kosten kann. Öffentliche Schulen sind allgemein unterfinanziert und es gilt: Je ärmer die Kommune, desto schlechter auch die Schulen. Wo das hinführt, kann sich jeder selber denken.
 Um in Chile an einer Schule zu unterrichten, muss man ohnehin nichtmal einen Universitätsabschluss in besagtem Fach besitzen. So wird beispielsweise Mathe oft von BWLern unterrichtet, auf dem Land übernehmen die Dorfältesten den Job.

Wenn man dann einmal gute Noten in der PSU eingefahren hat, kann man an die Universidad de Chile, die älteste und immer noch mit weitem Abstand angesehenste Universität des Landes, wo die Studiengebühren bei 3000 Euro im Jahr anfangen und für Medizin mehr als das Doppelte betragen. Schafft man das nicht, muss man sich den Zugang zur Universität erkaufen und noch einmal deutlich mehr berappen. Man verschuldet sich also und studiert 5-6 Jahre (kürzer können die Studiengänge nicht sein, weil sie ja die Defizite aus der Schule kompensieren müssen), um dann in einem Vollzeitjob 600 Euro zu verdienen, wovon man dann für seine Familie Wasser und Brot kaufen kann. Diese große Lüge ("gran engano"), wie das hier in Chile genannt wird, ist einer der wichtigsten Gründe für die große Wut der Chilenen.

Aber kommen wir zur heutigen Situation, die wahrscheinlich für die große Mehrheit der Besucher dieser Seite von größerem Interesse ist. Diese erklärt sich allerdings auch nur, wenn man kurz Bezug nimmt auf die Revolución de los pingüinos, sprich einer Bewegung von Mittelstufenschülern, die ihren Namen von den Schuluniformen hat. Allein am 30.5.2006 gingen 600.000 (!!) Schüler auf die Straße, um für verschiedene Reformen zu protestieren, vor allem dem Ende der Finanzierung der Schulbildung durch die Kommunen (siehe oben).

In den darauffolgenden Jahren gab es immer wieder "Mobilisierungen", wie die Proteste hier genannt werden, um 2011 im großen Knall zu münden. Im ganzen Land besetzten gefühlt alle Mittelstufenschüler und Studenten an öffentlichen sowie einigen wenigen privaten Hochschulen die kompletten Gelände ihrer Bildungseinrichtungen und verloren so das ganze Jahr, um (nebem vielem anderem) für educación gratuita y con calidad (kostenlose und qualitativ hochwertige Bildung) zu protestieren.

Im Jahr 2012, genauer am 28.8., sieht das Ganze so aus: 


Das Foto ist nur dazu da, um zu zeigen, dass ich tatsächlich da war. Alex rechts von mir hat es nicht leicht, weil er 7 Köpfe größer ist als alle Chilenen. :)
 Wir entschieden uns genau im richtigen Moment, umzudrehen. Diese Wasserwerfer sind mit 50 km/h auf dem Weg dorthin, wo wir uns bis wenige Minuten zuvor noch aufgehalten hatten...

 Die meisten Leute rennen wild irgendwohin, obwohl die Polizeifahrzeuge in andere Richtungen unterwegs sind...
 Ein zorrillo (Füchschen). Hübscher Name für ein hässliches Auto.

 "Pinera, weon de mierda, deja de reprimir" - in etwa "Pinera, Scheißarschloch, hör mit der Unterdrückung auf!
 In den ein bis zwei Stunden, bevor die Polizei anrückt, treten die unterschiedlichsten Gruppen mit den lustigsten, bescheuertsten und interessantesten Darbietungen auf, die man sich vorstellen kann.
 Neben den hier gezeigten gab es beispielsweise auch einen Schwertkampf...
 Eine besetzte Schule im Zentrum Santiagos.

 Traurigerweise fällt dem chilenischen Staat nichts anderes ein, als bei den eigentlich friedlichen Demonstrationen regelmäßig Polizisten unter gewaltbereite Protestierende zu schmuggeln, nur um das aufkeimende Steine-Geschmeiße mit wildem und völlig ziellosem (!!) Werfen von Tränengasbomben und Wasserwerferbeschuss zu beantworten. Als neulich auf meinem Campus 10 Vermummte an uns vorbeirannten, landeten fünf Minuten später zahlreiche (!!) Tränengasgranaten, offensichtlich wahllos abgefeuert, in unserer Nähe, sodass wir schnell das Weite in Richtung eines ruhigeren Teils des Unigeländes suchten.

 Zu der offensichtlichen und völlig überzogenen Unterdrückung der friedlichen Proteste kommen im Tagesrhythmus Vorwürfe gegen Polizeibeamte ans Licht, die (durch Fotos bewiesen) während des Einsatzes Schülerinnen an die Brüste greifen und Festgenommene regelmäßig grundlos und rechtswidrig auffordern, sich nackt auszuziehen, um nur einige der Beschwerden zu nennen.

Zurück zur aktuellen Sitation. Ich habe dieses Semester bereits vier Wochen im Paro, also komplett ohne Unterricht verbracht, der vorgeblich dazu dienen soll, den Studenten auf dem besetzten Raum (also auf dem Campus) Platz zur Reflexion und Selbstbildung zu verschaffen, was tatsächlich in guter chilenischer Tradition steht. Allerdings ist dies erstens während des kürzlich abgelaufenen Paros schlicht nicht geschehen und zweitens bin ich nicht alleine mit der Meinung, dass man sich vielleicht eine andere Strategie überlegen sollte. Der ganzjährige Unterrichtsausfall (während dem die Studenten natürlich schon brav weitergezahlt haben...)im vergangenen Jahr hat traurigerweise nämlich genau nichts bewirkt und es deutet auch nichts darauf hin, dass sich das irgendwann ändert.

Das war also mein kurzer Ausblick auf die Situation in Chile bezüglich der Studentenproteste, der (selbstverständlich) lückenhaft und schematisch ist. Wenn sich jemand mehr dafür interessiert, schreibe er mir einfach eine Mail :).








No hay comentarios:

Publicar un comentario